Die europäische Risikokapitalbranche erlebt derzeit eine bemerkenswerte Veränderung: Trotz eines Rückgangs der Investitionen in europäische Start-ups ist der durchschnittliche Dealwert gestiegen, da ein zunehmend grösserer Anteil der Abschlüsse auf spätere Finanzierungsrunden entfällt. Finanzunternehmer Artan Qelaj aus Zürich wirft einen Blick auf die jüngsten Zahlen aus dem Hause PitchBook.
Medianwert der VC-Abschlüsse erreicht 2,1 Millionen Euro
Während die Zahl der Venture-Capital-Abschlüsse in Europa in der ersten Jahreshälfte 2023 deutlich zurückgegangen und auch das Transaktionsvolumen gegenüber dem ersten Halbjahr 2022 um gut 60 Prozent gesunken ist, hat sich bei dem Dealwert eine andere Entwicklung gezeigt: Wagniskapitalgeber haben zuletzt eindeutig wieder grössere Deals bevorzugt. Dem «European Venture Report» von PitchBook zufolge gab es bei den Grössenklassen der VC-Geschäfte in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres eine Verschiebung, so ist die Quote der Finanzierungsrunden mit einem Wert von weniger als 1 Million Euro gesunken, während der Anteil der Deals über 5 Millionen Euro gestiegen ist.
Wie Artan Qelaj hervorhebt, schlägt sich diese Verlagerung auch in der mittleren Dealgrösse nieder: Im ersten Halbjahr 2023 erreichten die VC-Abschlüsse einen Medianwert von 2,1 Millionen Euro (etwa 2,3 Millionen US-Dollar). 2022 lag der mittlere Dealwert bei 2 Millionen Euro.
Trotz der gestiegenen mittleren Transaktionsgrössen ist die Zahl der europäischen Mega-Deals zuletzt deutlich zurückgegangen: Das erste Halbjahr 2023 sah lediglich 31 Risikokapitalrunden mit einem Finanzierungsvolumen von 100 Millionen Euro und mehr, im Vorjahr kam es noch zu 176 derartigen Grossabschlüssen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, geht man bei PitchBook davon aus, dass die Mega-Runden in Europa in diesem Jahr wieder das Vorpandemieniveau erreichen.
Mehr Wagniskapital fliesst in reifere Start-ups
Zurückgeführt wird diese Entwicklung auf einen Strategiewechsel bei den VC-Investoren: Wagniskapitalgeber in Europa setzen verstärkt auf Investitionen in reifere Start-ups und bestehende Portfoliounternehmen. Spätere Finanzierungsrunden konnten so ihren Anteil am europäischen Wagniskapitalgeschäft deutlich ausbauen, VC-Abschlüsse in der Wachstums- und Spätphase machten in der ersten Jahreshälfte 2023 einen deutlich grösseren Prozentsatz der Gesamtdeals aus als in den Vorjahren. Dies ging auf Kosten der Investitionen in Start-ups in der Angel- und Seed-Phase, deren Anteil zur Jahresmitte deutlich gesunken ist.
Folgerunden machen einen Grossteil des europäischen Wagniskapitalgeschäfts aus
Ein weiteres durchaus auffälliges Ergebnis des «European Venture Report» von PitchBook betrifft die Verteilung von Erst- und Folgedeals im europäischen Wagniskapitalgeschäft. VC-Investoren zeigten 2023 bislang nicht nur eine Vorliebe für spätere Finanzierungsrunden und somit etabliertere Start-ups, sondern auch für ihnen bereits bekannte Zielunternehmen: Bei nicht weniger als 70 Prozent der europäischen VC-Abschlüsse im ersten Halbjahr 2023 handelte es sich um Folgerunden. Das ist der grösste Anteil an Folgedeals seit dem Jahr 2020.
Nach Einschätzung des Zürcher Finanzunternehmers Artan Qelaj zeigt dies, dass Wagniskapitalgeber in einem angespannten Finanzierungsumfeld nicht nur bevorzugt in Start-ups investieren, die ihre Leistungsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt haben, sondern die ihnen durch vorangegangene Finanzierungsrunden auch bereits persönlich bekannt sind.
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